Repository | Book | Chapter

Neue Perspektiven

Vergleichende Interkulturelle Literaturwissenschaft?

Hartmut Böhme

pp. 493-498

»Wenn die Anthropologen kommen, sterben die Götter«, sagte ein Haitianer zum Anthropologen Hubert Fichte. Dieser Satz beleuchtet blitzhaft die Zwiespältigkeit von Prozessen der Interkulturalität, mit denen sich die Autoren dieser Sektion beschäftigen. In der Bemerkung des Haitianers kann durchaus vorausgesetzt sein, daß diese Anthropologen in bester Absicht auf Verstehen und Verständigung gekommen seien. Und doch faßt die lakonische Sentenz die vielleicht resignierte, vielleicht bittere Erfahrung zusammen, wonach selbst unter der Voraussetzung dessen, was westliche Theoretiker »principle of charity« nennen, Verständigung koinzidieren kann mit der Zerstörung der Kultur desjenigen, der ›verstanden‹ wird. Jede Form und Theorie der Interkulturalität ist wenigstens seit 500 Jahren mit der Blutspur des Kolonialismus behaftet. Darum muß jedes Konzept von interkulturellen Austauschbeziehungen, das nicht in diesem Bewußtsein steht, als naiv, wenn nicht als neokolonialistisch gelten. Spätestens seit den Tagebuch-Veröffentlichungen von Malinowski wissen wir, daß eine hochrangige, analytisch auf der Höhe des Möglichen stehende Ethnologie durchaus nicht rassistische oder koloniale Einstellungen des Autors ausschließt. Und wir dürfen wohl bei Ethnologen wie bei keiner anderen akademischen Berufsgruppe annehmen, daß sie vom Eros des Reisens und der Lust auf Fremde bewegt sind.

Publication details

DOI: 10.1007/978-3-476-03631-5_31

Full citation:

Böhme, H. (1996)., Neue Perspektiven: Vergleichende Interkulturelle Literaturwissenschaft?, in L. Danneberg & F. Vollhardt (Hrsg.), Wie international ist die Literaturwissenschaft?, Stuttgart, Metzler, pp. 493-498.

This document is unfortunately not available for download at the moment.