Repository | Book | Chapter

218650

(1986) Politische Wissenschaft und Politische Ordnung, Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften.

Revolutionäre Praxis und ihre Theorie

Dietmar Schössler

pp. 409-422

Es soll erörtert werden, inwieweit sich bei Clausewitz bereits die Erscheinungsformen des modernen bewaffneten Konflikts abzeichnen; m.a.W. ob sein theoretisches Instrument elastisch genug war, um noch für die gegenwärtige weltpolitische Lageanalyse zentrale Wirklichkeitszugänge zu eröffnen. Seit den französischen Revolutionskriegen und der ihnen folgenden Eindämmungsperiode ist das Kriegsbild differenzierter geworden. Man muß heute die Ebenen kalter Krieg bzw. neuerdings: ‚antagonistische Kooperation", subkonventioneller Krieg, nicht-atomarer, begrenzt-atomarer und total-atomarer Krieg unterscheiden. Angesichts der Vernichtungsdrohung durch die Nuklearwaffen scheint der subkonventionelle Krieg "mehr oder weniger zum Regelfall militärischer Gewaltanwendung geworden zu sein" (Baudissin 1969: 67). Zwischen 1945 und 1982 lassen sich rund 280 bewaffnete Konflikte registrieren, von denen etwa 200 in die Rubrik ‚sub"konventionell einzugliedern sind (Kidron und Smith 1983). Diese subkonventionelle Konfliktform wächst im allgemeinen graduell von der Guerilla zum regulären Krieg auf (Giap 1968: 99). Hierbei geht es nicht um ein Nacheinander, sondern um ein lediglich phasenverschobenes Nebeneinander von Irregularität und Regularität — einschließlich der zunehmenden Einbeziehung des internationalen Umfeldes. Alle Aspekte des modernen Kriegsbildes stehen dabei unter der kombinierten Wirkung der seit der bürgerlichen Revolution erstmals möglich gewordenen totalen Erfassung der Nation einerseits und der totalen Bedrohung durch die weltweit einsetzbaren Nuklearwaffen sowie anderer Massenvernichtungsmittel andererseits. Es gibt mithin keine ‚Nischen" mehr — weder im geographischen, noch im sozialen oder aber im politischen Sinne: Der alles umwälzende Wirkungsfaktor, die totale Mobilisierung, ist auf den welt-revolutionierenden Tatbestand zurückzuführen, daß "der Mensch sich auf den Kopf, d. i. auf den Gedanken stellt und die Wirklichkeit nach diesem erbaut … nun … erst ist der Mensch dazu gekommen, zu erkennen, daß der Gedanke die geistige Wirklichkeit regieren solle" (Hegel 1978: 529). Es beginnt die Zeit der Ideologien (Bracher: 1982), die dem internationalen Geschehen seitdem eine alles überlagernde zusätzliche Dimension des Handelns verleihen, welche vielleicht noch am zutreffendsten mit ‚Weltkrieg" bezeichnet wird. Die herkömmliche internationale Politik, die immer schon unter dem Kriegsrisiko stand, wird durch den Faktor Ideologie noch unberechenbarer, noch uneinhegbarer und noch gewaltsamer.

Publication details

DOI: 10.1007/978-3-322-86109-2_31

Full citation:

Schössler, D. (1986)., Revolutionäre Praxis und ihre Theorie, in M. Kaase (Hrsg.), Politische Wissenschaft und Politische Ordnung, Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften, pp. 409-422.

This document is unfortunately not available for download at the moment.