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199383

(1999) Autobiographische Schriften, Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften.

Ernst Glaeser

René König

pp. 386-388

War die Wiederbegegnung mit Peter Suhrkamp ein wahrer Gewinn, so war eine zweite Erfahrung mit Ernst Glaeser aus Berlin, dem Autor des vieldiskutierten Buches "Jahrgang 1902", eher deprimierend. Ich hatte ihn noch in Berlin bei Richard Huelsenbeck kennen gelernt, bevor dieser nach New York emigrierte, und danach noch ein zweites Mal in Halensee auf der Straße getroffen. Da er sich sehr offen über den Nationalsozialismus äußerte und auch über seine Pläne, dachte ich, in ihm einen Gesinnungsgenossen getroffen zu haben. So sprach ich von meinen Plänen, nach Zürich überzusiedeln, und war hoch erfreut, als er mir berichtete, er sei gerade dabei, das Gleiche zu tun. So trafen wir uns bald wieder in Zürich und kamen in einer typisch altzürcherischen "Beiz" im Stadteil Hottingen regelmäßig zusammen, auch mit dem Zürcher Schriftsteller Kurt Guggenheim, mit dem wir fortlaufend die politischen Ereignisse kommentierten. Der Beizer selbst war eine sehr originelle Erscheinung, eine Mischung von List und Gutmütigkeit. Das Geld für den Kauf des kleinen Bierlokals, wo man auch warme Schüblige und Cervelatsalat verzehren konnte, hatte er sich in Paris als "Käsroller" verdient. Als mich eines Tages ein alter Freund, der Maler Erich Nagel aus Berlin besuchte (ein Schüler von Ernst Ludwig Kirchner, der schon länger in der Schweiz lebte), zeichnete er den Beizenwirt, er hieß meiner dunklen Erinnerung nach Bänninger, auf einem Stuhl sitzend mit dem für ihn so typischen Ausdruck von Verschlagenheit und Naivität. Erich Nagel emigrierte sehr bald ebenfalls, nur in eine andere Richtung, nämlich nach Dänemark. Ich habe ihn aus den Augen verloren, da er auch seinen Namen änderte, wie man mir sagte, und nach der Besetzung Dänemarks durch die Deutschen Zuflucht in Schweden fand.

Publication details

DOI: 10.1007/978-3-322-80859-2_30

Full citation:

König, R. (1999). Ernst Glaeser, in Autobiographische Schriften, Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften, pp. 386-388.

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