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199383

(1999) Autobiographische Schriften, Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften.

Heute in Italien

René König

pp. 291-316

Ich habe schon mehrfach betont, daß ich mich, wann immer ich gesundheitliche oder moralische Schwierigkeiten hatte, nach Italien zurückzuziehen pflegte, wo es mir nicht schwerfiel, mich nach kurzer Zeit zu regenerieren und mein Gleichgewicht wiederzufinden. So ist auch der Titel dieses Kapitels nicht ganz adäquat; denn das »heute« hat eine sehr lange Geschichte. Im Grunde gehen meine ältesten Erinnerungen überhaupt außer auf Paris vor allem auf Bologna zurück, wo mein Vater um 1910 herum die Montage einer Zuckerfabrik leitete. Weitere Erinnerungen sind mit Piacenza verknüpft, wo die Zuckerfabrik, die mein Vater um 1912 baute, heute noch immer existiert. Die Menschen, mit denen mein Vater damals umging, sind unterdessen sicher alle gestorben. So schweben diese Erinnerungen heute gewissermaßen erratisch im Leeren, da unser Gedächtnis nur dann Zusammenhänge produziert, wenn wir sie mit anderen teilen, wenn es also gestützt wird von sozialen Beziehungen. Schwinden diese, dann bleiben nur unzusammenhängende Scherben, aus denen man immer schwerer einen lesbaren Text herstellen kann So geht es mir auch mit diesen frühesten Erinnerungen, selbst wenn mir einzelne Bilder noch deutlich vor Augen stehen.

Publication details

DOI: 10.1007/978-3-322-80859-2_17

Full citation:

König, R. (1999). Heute in Italien, in Autobiographische Schriften, Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften, pp. 291-316.

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