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199383

(1999) Autobiographische Schriften, Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften.

Studienbeginn in Wien

Begegnung mit der Türkei im Umbruch

René König

pp. 41-53

Wien war damals der große Verlierer des Ersten Weltkrieges, aber es war — im Gegensatz zu Danzig und zum Deutschen Reich — ganz durchdrungen von einem humanen Gefühl und von Toleranz, speziell auch bei den Studenten und Professoren, die ich während meines Aufenthaltes kennenlernte. Wien war damals wie schon vorher der Treffpunkt der verschiedenen Kulturen Osteuropas bis nach Rumänien und des Balkans, die hier einträchtig zusammen lebten und arbeiteten. So war es auch auf eine sehr bestimmte Weise höchst unkonventionell im interkulturellen Austausch, selbst wenn als Lingua Franca die deutsche Sprache herrschte. Aber das war ein ganz anderes Deutsch als das der Reichsdeutschen. Es war eben Österreichisch. Nicht nur daß süddeutsche Mundarten insgesamt versöhnlicher wirken als die norddeutschen, auch der Werthorizont ist ein ganz anderer. Ohne den zentralen Gedanken der Toleranz hätte das Habsburger Reich nie zusammenhalten können. Zerstört wurde es noch während des Ersten Weltkriegs durch die Deutschtümelei der Ratgeber des greisen Kaisers Franz Joseph. Aber dieser Anfall von Deutschnationalismus hielt gottlob nicht lange vor. Zu meiner Zeit lebte er einzig bei jenen »einsatzbereiten« reichsdeutschen Studenten weiter, die mich anrüpelten, als sie in der Eingangshalle der Universität den schwer kriegsinvaliden Sohn Hugo Bettauers, des mißliebigen Autors der »Freudlosen Gasse«, in blödem Machtrausch zusammengeschlagen hatten und ich dazwischengesprungen war, um ihm zu helfen. Auch hier also die reichsdeutschen Chauvinisten als Störfaktor erster Ordnung, wobei sie vom deutschen Generalkonsulat noch unterstützt wurden. Es gab in der Tat eine Art reichsdeutscher Studentenvereinigung, zu deren Mitgliedschaft man zwangsverpflichtet wurde, und die Einstellung der Mitglieder war entsprechend. Es war im Grunde eine perfekte Aktionszentrale für rechtsradikale Aktivitäten. Ich machte mich äußerst verdächtig, als ich es ablehnte einzutreten und die mir unverlangt mit Rechnung übersandte Mitgliedskarte ohne ein Wort (und ohne Zahlung) zurücksandte.

Publication details

DOI: 10.1007/978-3-322-80859-2_3

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König, R. (1999). Studienbeginn in Wien: Begegnung mit der Türkei im Umbruch, in Autobiographische Schriften, Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften, pp. 41-53.

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