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191029

(2002) Georg Simmel und Max Weber, Dordrecht, Springer.

Zu den philosophischen Hintergründen für die erkenntnistheoretisch-methodologische Grundlegung einer Theorie der Moderne

Duk-Yung Kim

pp. 417-445

Als wichtige philosophische Traditionen und Diskussionen um die Jahrhundertwende, die für die Entwicklung der Kultur- und Sozialwissenschaften von konstitutiven Bedeutungen gewesen sind, können vor allem der Neukantianismus, die Diltheysche Philosophie der Geisteswissenschaften, die Phänomenologie Edmund Husserls und der Positivismus gesehen werden. Um den Kultur- und Sozialwissenschaften gegenüber den Naturwissenschaften ein selbständiges Existenzrecht mit eigenem Erkenntnisbereich und eigener Erkenntnismethodik sicherzustellen und dadurch ihre historische und gesellschaftliche Bedeutung und Position zu gewähren, haben sich die Kultur- und Sozialwissenschaftler hauptsächlich an den Neukantianismus um Wilhelm Windelband und Heinrich Rickert oder an die geisteswissenschaftliche Philosophie Diltheys angelehnt. Der grundlegendste Unterschied der beiden Philosophien besteht darin, daß die eine die Unterscheidung von Natur- und Kulturwissenschaften logisch in der Verschiedenheit des Erkenntnisinteresses begründet sieht und die andere die Unterscheidung von Natur- und Geisteswissenschaften ontologisch auf die Verschiedenheit des jeweiligen wissenschaftlichen Erkenntnisgegenstandes zurückführt. Allein dieser bedeutsame theoretische Unterschied der beiden philosophischen Ansätze weist auf ihre gemeinsame philosophiegeschichtliche Position hin, daß sie mit aller Entschiedenheit gegen das Eindringen und die Durchsetzung des positivistisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnisprinzips in der geistigen Kulturwelt ausgerichtet sind. Ihnen gesellt sich in diesem Punkt die Husserische Phänomenologie hinzu. Auf der einen Seite bildete Husserl eine große Koalition mit den Neukantianern und Dilthey gegen den Positivismus, auf der anderen Seite hat er sich aber kritisch mit dem Neukantianismus und der geisteswissenschaftlichen Philosophie Diltheys auseinandergesetzt. Dabei ist vor allem anzumerken. daß man gerade bei der Husserlschen Phänomenologie den logischen und theoretischen Rückhalt für die Überwindung des damals vorherrschenden Psychologismus gesucht hatte. Ferner weisen die positivistisch orientierten Autoren — hauptsächlich die Leipziger, wie etwa Karl Lamprecht — auf der Grundlage der naturwissenschaftlich-evolutionistischen Annahme den Unterschied von Naturwelt einerseits und Geistes-, Kultur- bzw. Sozialwelt andererseits grundsätzlich zurück. In diesem Teil soll es um die ideengeschichtliche Bedeutung der neukantianischen Philosophie von Rickert und der Phänomenologie Husserls für Simmel und Weber gehen. Auf die geisteswissenschaftliche Philosophie Diltheys wird im Rahmen der Diskussion über die Verstehensproblematik bei Simmel und Weber eingegangen. Vorauszuschicken ist, daß Simmel und Weber von Husserl kein bestimmtes methodisches Prinzip gelernt haben. Die methodische Grundlage haben sie vielmehr jeweils von Kant und Rickert erhalten. Ihr Interesse an der Phänomenologie gilt demgegenüber in erster Linie der Erkenntnistheorie, die auf der intentionalen Aktivität des Subjekts beruht. Darüber hinaus läßt sich auch in systematischer Hinsicht eine große Ähnlichkeit von Husserl mit Simmel und Weber nachweisen darin, daß die wissenschaftliche und philosophische Erkenntnisaktivität von der Wirklichkeitssphäre auszugehen hat.

Publication details

DOI: 10.1007/978-3-663-10146-8_6

Full citation:

Kim, D. (2002). Zu den philosophischen Hintergründen für die erkenntnistheoretisch-methodologische Grundlegung einer Theorie der Moderne, in Georg Simmel und Max Weber, Dordrecht, Springer, pp. 417-445.

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