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(2000) Kleist-Jahrbuch 1999, Stuttgart, Metzler.

Liebeszerstückelung

Elisabeth Bronfen

pp. 174-193

Läßt man sich auf den Versuch ein, Kleist mit Shakespeare im Hinblick auf den Kampf der Geschlechter zu lesen, kommt man unwillkürlich auf die Verbindungslinie, die von Penthesileas Zerstückelung ihres Gegners Achilles zurückführt zu der in Erwartung der Hochzeitsnacht formulierten tödlichen Liebesphantasie Juliets. In der berühmten Balkonszene im dritten Akt, in der Juliet ungeduldig und gleichzeitig furchtsam ihren verbotenerweise und deshalb heimlich geheirateten Geliebten Romeo erwartet, beschreibt sie einerseits den so sehnsuchtsvoll antizipierten Beischlaf wie ein Duell, von dem sie im vorhinein weiß, daß sie nur verlieren kann, um zu gewinnen. In diesem Sinne ruft sie die Nacht als schützende Bedeckung dieser Niederlage an: »Come, civil night, / Thou sober-suited matron, all in black, / And learn me how to lose a winning match / Play"d for a pair of stainless maidenhoods« (III.ii, 10–13).1 Sie deutet andererseits aber auch auf die Nähe von erotischem Genuß und Selbstverschwendung hin, jedoch in Form einer auf den Geliebten projizierten Zerstückelungsphantasie: »When I shall die / Take him and cut him out in little stars, / And he will make the face of heaven so fine / That all the world will be in love with night, / And pay no worship to the garish sun« (III.ii, 21–25).2 Sich der eigenen Verausgabung sicher, will sie nicht nur den Geliebten als einen ebenso der Liebesgewalt geopferten Tribut wissen. Sie will seinen Leichnam ganz im Sinne der Rhetorik des Barocks auch in eine allegorische Heimat eingehen lassen. Hatte Walter Benjamin doch für die Dramen dieser Zeit festgestellt: »Produktion der Leiche ist, vom Tode her betrachtet, das Leben«; »das Toddurchdrungensein des […] barocken Menschen wäre ganz undenkbar, wenn nichts als die Erwägung ihres Lebensendes sie beeindruckt hätte.«3

Publication details

DOI: 10.1007/978-3-476-03787-9_13

Full citation:

Bronfen, E. (2000)., Liebeszerstückelung, in , Kleist-Jahrbuch 1999, Stuttgart, Metzler, pp. 174-193.

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