Repository | Book | Chapter

217702

(2003) Im Zug der Zeit, Dordrecht, Springer.

Informationsdynamik und Wissenschaftlich-technische Evolution

Hermann Lübbe

pp. 229-267

Die Vorstellung, daß Wissen ein Bestand sei, der wächst, ist alt. Bereits die Art, in der Aristoteles1 die Geschichte der seinen eigenen Bemühungen vorausliegenden Prinzipienforschung erzählt, ist von dieser Vorstellung geleitete2. Die Zahl der Prinzipien ist begrenzt, eins nach dem anderen wird entdeckt, bis endlich, nämlich bei Aristoteles selbst, ihre Entdeckungsgeschichte abgeschlossen ist. Das Schema, das dieser Vorstellung vom Fortgang der Wissensgeschichte zugrunde liegt, ist von äußerster Simplizität. Aber es hat eben deswegen eine Plausibilität, der man sich schwerlich entziehen kann. Man mag sich aus seiner Schulzeit noch an die Mathematiklehrbücher der Gymnasialmittelklassen erinnern, wo den Lehrsätzen der Geometrie und Arithmetik, die man erlernte, indem man sie zu beweisen lernte, im Anmerkungskleindruck von Thales bis zu Fermat die Namen und Lebensdaten der Wissensfinder beigegeben waren, die die fraglichen Lehrsätze zuerst formuliert und bewiesen hatten. Das Bild der Wissensgeschichte, das sich aus solchen historischen Anmerkungen ergibt, ist das Bild eines Fortschritts im Wissen, in welchem neues Wissen bereits vorhandenem Wissen hinzugefügt wird — nach Analogie der Aufeinanderfolge von Lehrbuchkapiteln, die nun der Schüler nacheinander im Laufe der Schuljahre durchzuarbeiten hat, um so auf die Höhe des gesamthaft inzwischen vorhandenen Wissens der Zeit sich hinaufzuarbeiten. In der Ontogenese des Wissens wiederholt sich seine Phylogenese, und beiderlei Genesen sind stets unabgeschlossen: Das Individuum lernt nie aus und die Menschheit auch nicht.

Publication details

DOI: 10.1007/978-3-540-38360-4_7

Full citation:

Lübbe, H. (2003). Informationsdynamik und Wissenschaftlich-technische Evolution, in Im Zug der Zeit, Dordrecht, Springer, pp. 229-267.

This document is unfortunately not available for download at the moment.