Repository | Book | Chapter

199897

(1998) Kleist-Jahrbuch 1998, Stuttgart, Metzler.

Kohlhaas und der Kanon, oder

Was hat Kleist in der Schule Verloren?

Ulf Abraham

pp. 244-263

Jene Umfrage, mit der die Wochenzeitung ›DIE ZEIT‹ im Frühjahr 1997 unter dem Titel »Was sollen Abiturienten lesen?« die Bildung, Besser- und Bescheidwisserei von allerlei Personen des öffentlichen Lebens vorführte, schleppt Heinrich von Kleist mit wie ein lästiges Gepäckstück: Eigentlich will keiner es noch weit tragen, aber stehenzulassen traut man sich's auch nicht, denn es könnte dereinst wieder gebraucht werden. »Lessing, Goethe, Schiller, Kleist«, antwortete in diesem Sinn die Volksschauspielerin Inge Meysel1 und meinte damit »die großen Klassiker« (ebd.) beschworen, einen kulturellen Konsens bekräftigt und sich ihrer Aufgabe entledigt zu haben. So viel Oberflächlichkeit grenzt schon fast an Mut. Die gereizten Reaktionen der in Theorie und Praxis mit Sprach- und Literaturunterricht Befassten freilich konnten — außer womöglich Inge Meysel — niemanden Wunder nehmen. Ein Kanon gehöre in vordemokratische Zeiten, beschied etwa Hans Brügelmann, angesehener Fachmann für Erst- und Rechtschreibunterricht, sowohl die Frager als die Antwortenden.2 Und aus der relativen Versenkung des pädagogischen Alltags heraus wurde mit Recht daran erinnert, wie literarische Bildung in praxi aussieht: »Jeder, der die Stirn hat, Pflichtlektüren vorzuschlagen, ohne wenigstens einer Tochter oder einem Sohn seinen persönlichen Kanon erfolgreich vermittelt zu haben, wird zur Durchführung eines Deutschkurses verurteilt (Grundkurs, wöchentlich 3 Einzelstunden, 26 Schüler mit den Leistungsfächern Mathematik und Physik).«3

Publication details

DOI: 10.1007/978-3-476-03755-8_12

Full citation:

Abraham, U. (1998)., Kohlhaas und der Kanon, oder: Was hat Kleist in der Schule Verloren?, in , Kleist-Jahrbuch 1998, Stuttgart, Metzler, pp. 244-263.

This document is unfortunately not available for download at the moment.