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199897

(1998) Kleist-Jahrbuch 1998, Stuttgart, Metzler.

Die Gewalt von Raum und Zeit

Manfred Schneider

pp. 209-226

Im Jahre 1780 erschien Friedrichs des Großen Schrift ›Über die deutsche Litteratur, die Mängel, die man ihr vorwerfen kann, die Ursache derselben und die Mittel sie zu verbessern‹ zugleich französisch und deutsch. Dieses königliche Wort löste in der deutschen Gelehrtenrepublik sogleich jenes Kopfschütteln aus, das heute noch zur Gymnastik der Intellektuellen gehört, wenn sich die Politik in ihre Dinge mischt.1 Wie konnte jemand Shakespeares Dramen als »lächerliche Farcen« abtun, die allenfalls vor den »Wilden von Canada« gespielt werden dürften? Wie konnte man den ›Götz von Berlichingen‹ als »ekelhaftes Gewäsche« niederreden und zugleich über eine triviale Komödie wie Cornelius von Ayrenhoffs ›Der Postzug‹ königliches Lob ausgießen? Der König begründete seine Shakespearepolemik unter anderem damit, daß im Drama des Engländers die äußerste Unwahrscheinlichkeit regierte: Die Einheitsregeln der Zeit, des Orts und der Handlung würden nicht beachtet. Man hat diese Kritik stets als eine an die französische Aristoteles-Auslegung angelehnte königlich-ignorante Bemerkung gelesen. Denkt man aber daran, daß Friedrich ein bedeutender Armeereformer, Feldherr und Kriegstheoretiker war, dann ist seine Besorgnis über die aus den Fugen geratenen Räume und Zeiten auf den Bühnen begreiflich. Sollte der König tatenlos zusehen, wie das unterhaltende Theater seinen Offizieren die Begriffe von Raum und Zeit verwirrte? Aller Bühnenwahrscheinlichkeit entfremdet, sollten sie auf dem Kriegstheater, wie es von Clausewitz nennen wird, die Orientierung weiter bewahren können?

Publication details

DOI: 10.1007/978-3-476-03755-8_10

Full citation:

Schneider, M. (1998)., Die Gewalt von Raum und Zeit, in , Kleist-Jahrbuch 1998, Stuttgart, Metzler, pp. 209-226.

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