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Soziale Intentionalität im Spannungsfeld von emotionaler Geborgenheit und motivierter Exploration

Karl-Heinz Braun

pp. 47-80

Es gehört zu den grundlegenden Erfahrungen und Erkenntnissen des pädagogischen Handelns und Denkens, dass die vielfältigen unmittelbaren zwischenmenschlichen Begegnungsweisen Bildung und Erziehung überhaupt erst möglich machen, dass somit die verschiedenen Institutionalisierungsformen und deren sozial- und bildungspolitische Einrichtung und Existenzsicherung diese zwar ermöglichen und ihnen die notwendige Zuverlässigkeit bis zu einem gewissen Grade garantieren, dass sie sie aber in keinem Falle ersetzen können. Insofern ist die Formel vom "institutionellen Erzieher" eine objektivistische ("metaphysische") Scheinkonstruktion. Demgegenüber bietet die Bindungstheorie in besonderer Weise die Chance, die klassische Formel vom "pädagogischen Bezug" (Nohl) weiter zu entwickeln, indem nun nicht nur die emotional-motivationale Seite allen, nicht nur des professionellen pädagogischen Handels in den Vordergrund gerückt wird (insofern also auch über Piagets Interaktionsverständnis hinauszugehen), sondern diese selber empirisch differenziert zu untersuchen (Kap. 3.1). Dabei erweist sich die Unterscheidung zwischen sicheren, unsicher-ambivalenten, vermeidenden und chaotischen Bindungsmustern, die sich im Spannungsfeld von Suche nach Geborgenheit und Entdeckung neuer Menschen, Lebenswelten und Sozialräumen entfalten, als sehr hilfreich, um Entwicklungseinschränkungen und -brüche zu erkennen und pädagogisch helfend zu überwinden. Dazu dient vorrangig die Sozialpädagogische Familienhilfe (SPFH), weil sie bemüht ist, den privilegierten Ort des Aufwachsens, nämlich die (Herkunfts-) Familie, soweit wie irgend möglich zu einem anregungsreichen und befriedigenden Lebensort werden zu lassen (Kap. 3.2.1). Da dies in einer begrenzten Anzahl von Fällen nicht gelingt, kommt hier erstmals in diesem Buch ein interaktiver und organisatorischer Übergangsprozess in den Blick, nämlich von der Herkunfts- in die Pflegefamilie (Kap. 3.2.2). Alle diese pädagogischen und sozialen Angebote und Maßnahmen dienen letztlich der Sicherung und Verwirklichung des Kindeswohls. Dies ist aber nicht vorrangig ein passiver, im günstigeren Falle advokatorischer ('stellvertretender") Vorgang des Schutzes der Kinder vor den "Unbilden dieser Welt", sondern das Bemühen, ihren Einfluss auf die Bedingungen und Verlaufsformen ihres Aufwachsens immer mehr zu stärken. Insofern verweist der Kinderschutz nicht nur auf die Kinderrechte, sondern auch auf die das pädagogische Handeln tragenden Bildungsperspektiven, die stets auch Bindungsperspektiven enthalten (Kap. 3.2.3).

Publication details

DOI: 10.1007/978-3-658-17100-1_3

Full citation:

Braun, K. (2018). Soziale Intentionalität im Spannungsfeld von emotionaler Geborgenheit und motivierter Exploration, in Entwicklungspädagogische Theorien, Konzepte und Methoden 1, Dordrecht, Springer, pp. 47-80.

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